Rede von Gregor Gysi, Präsident der EL, auf dem Sechsten Kongress der Partei der Europäischen Linken in Málaga (Spanien)Liebe Genossinnen und Genossen, Europa ist größer als die EU, schon rein territorial.

Wenn ich hier dennoch viel über die EU spreche, dann dient das nicht der Reduzierung und ist nicht überheblich gemeint. Die EU und ihre Entwicklung haben eine Bedeutung nicht nur für die Staaten in der EU, sondern für ganz Europa. Das sollen nur einige wenige Beispiele zeigen:im ehemaligen Jugoslawien haben wir das Kosovo, das nur mit viel Mühe als souveräner Staat angesehen wird. Tatsächlich gibt es dort noch immer eine Präsenz der KFOR-Truppen und die EU-Mission EULEX.Die Trennung des Kosovo von Serbien verletzte den Vertrag zwischen der NATO und Serbien, wonach Serbien seine Truppen aus dem Kosovo abzuziehen hatte, während die NATO einmarschieren durfte. Dort war auch geregelt, dass das Kosovo Bestandteil Serbiens bleibt und nach drei Jahren ein Volksentscheid durchgeführt werden muss. Nachdem die Serben ihre Truppen abgezogen hatten, entschied sich die NATO zur Verletzung des Vertrages, trennte das Kosovo einfach ab und verzichtete auf den Volksentscheid. Außerdem erfolgte die Abtrennung ohne Zustimmung des Staates, worauf sich nun zum Beispiel auch die Katalanen in Spanien berufen.Auch gab und gibt es militärische EU-Auslandseinsätze, beispielsweise in Afrika, derzeit bei der Training-Mission in Mali.Im Fall der Ukraine sieht man auch, wie eine verantwortungslose Politik der EU angesichts bestehender Interessen Russlands ein Land in einen Bürgerkrieg stürzen konnte. Anschließend soll dann natürlich allein Putin schuld sein.Mit dem Karfreitagsabkommen gab es die Möglichkeit eines dauerhaften Friedens in Nordirland. Dabei hat die EU eine wichtige Rolle gespielt. Bald wird das Vereinigte Königreich bzgl. der EU ein Drittland sein. Wichtige Elemente des Friedensprozesses sind nunmehr in Gefahr. Hier wird sich zeigen müssen, wie ernst es der EU mit dem Frieden in Nordirland ist.Schließlich, die Beispiele der Ukraine und des Kosovo deuten das bereits an, muss die EU ein möglichst konstruktives Verhältnis zum größten Territorialstaat Europas, zu Russland, ausbilden. Das sagt sich leicht. Aber wenn man die unterschiedliche Politik der EU-Staaten betrachtet, dann zeigen sich hier auch sehr unterschiedliche Haltungen.Wir haben die merkwürdige Situation, dass es  eine gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Union gibt und zugleich nicht gibt. Die einzelnen Staaten agieren in wenig abgestimmter Weise.Das zeigt sich deutlich im Verhalten der EU zur türkischen Aggression in Syrien, die sich gegen die Kurdische Selbstverwaltung richtet und Züge einer ethnischen Säuberung annimmt.Angesichts dessen wäre zu hoffen gewesen, dass sich die Europäische Union zu irgendeiner Reaktion durchringen könnte, zum Beispiel ein Lieferstopp von Rüstungsgütern, an Sanktionen wie gegen Russland will ich erst gar nicht denken. Aber die EU erzielte keine Einigung. Das war und bleibt ein moralischer Bankrott.Folgerichtig geriet auch die NATO in größte Schwierigkeiten. Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten waren der wichtigste Verbündete der USA beim Kampf gegen den „Islamischen Staat“ und die USA haben sie an die Türkei verraten. Durch die Aggression der Türkei entkamen vermutlich über 700 inhaftierte Dschihadisten. Weitere dschihadistische Gruppen paktieren mit der Türkei gegen die Kurden. Macron bezeichnete die NATO daraufhin als „hirntot“, während sich die deutsche Regierung aus Konservativen und Sozialdemokraten bemüht, die NATO mit allen Mitteln zu retten. Gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung beschließt sie immer höhere Ausgaben für NATO,  Aufrüstung und Militär.Ich erzähle das nicht, weil ich mich alten, vermeintlich besseren, Zeiten verbunden fühle. Die Außenpolitik der NATO war nie „gut“, sie war nur anders. Der Unterschied zu früher ist der, dass die normativen Grundlagen des Systems der internationalen Beziehungen, die sich nach dem 2. Weltkrieg herausgebildet haben, mit dem Ende der Systemkonfrontation nicht etwa stabiler geworden sind, sondern stark erodieren.Zu diesen Grundlagen gehört die UN-Charta sowie weitere völkerrechtliche Konventionen und Institutionen. Ich denke an die KSZE und spätere OSZE, an die Erklärung der Menschenrechte durch die UN-Vollversammlung, den Zivil- und Sozialpakt der UN, die Europäische Menschenrechtskonvention. Zusammen mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben wir so eine Grundlage für einen effektiven individuellen Menschenrechtsschutz. Mitglieder sind nicht nur die EU-Staaten, sondern auch die Nachfolgestaaten der UdSSR und die Türkei.Es gibt gelegentliche Konflikte zwischen Menschenrechten und anderen völkerrechtliche