Rede von Prof.

Dr. Michael Schumann auf dem Außerordentlichen Parteitag der SED-PDS am 16. Dezember 1989 in der Dynamo-Sporthalle in BerlinVor genau 30 Jahren, am 16. Dezember 1989, referierte Michael Schumann während des Außerordentlichen Parteitages der SED-PDS im Auftrag einer Arbeitsgruppe "Zur Krise der Gesellschaft und ihren Ursachen, zur Verantwortung der SED" und machte dabei die oft zitierte Aussage "Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System", die bis heute ein Grundsatz und Lebensprinzip der LINKEN ist. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir an dieser Stelle erneut die Rede im Wortlaut.Michael Schumann: Was jetzt zum Vortrag kommt, liebe Genossinnen und Genossen, ist das Ergebnis der Tätigkeit einer Arbeitsgruppe, die unter Verantwortung des Arbeitsausschusses bzw. Vorstandes relativ sehr kurzfristig - wie könnte es anders sein - gearbeitet hat. Es ist dementsprechend das, was hier vorgetragen wird, als ein erster und vorläufiger Versuch der Analyse zu werten. Die theoretisch-ideologische Bewältigung eines so komplizierten und komplexen Problems wie die Frage nach den Ursachen der Krise und die Verantwortung der SED, fordert den Einsatz des ganzen intellektuellen Potentials der Partei und bleibt eine Aufgabe, der wir uns auch in Zukunft mit aller Kraft stellen müssen, um zu weiteren Schlußfolgerungen für die radikale Erneuerung der Partei zu gelangen.Dennoch - es ist notwendig, auf diesem Parteitag Stellung zu den Ursachen der Krise zu beziehen. Das erwartet die Parteibasis, aus der uns auch viele Hinweise und Gedanken zu diesem Thema zugegangen sind, und das erwartet mit Recht auch die Öffentlichkeit unseres Landes.Unser Parteitag hat schon am ersten Beratungstag mit Nachdruck erklärt: Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System.Uns allen hier im Saal - dem einen früher, dem anderen später - ist bewußt geworden, daß für die Krise unseres Landes und unserer Partei die Mitglieder einer inzwischen hinweggefegten Parteiführung die persönliche Verantwortung tragen.Erich Honecker und sein Politbüro konnten vor allem deshalb einen derartigen Schaden anrichten, weil ein Geflecht von Strukturen allgegenwärtiger Apparate und eine Rechtfertigungsideologie einen derartigen Machtmißbrauch ermöglichten bzw. absegneten.Die Symptome dieses Machtmißbrauchs liegen inzwischen offen zutage: Konzentration der Macht in den Händen eines arroganten Alleinherrschers, Steuerung der Wirtschaft durch eine Kommandozentrale, der es an Verständnis für elementare Bedürfnisse der produktiven und sozialen Bereiche der Gesellschaft und für die Lebensqualität der Bevölkerung fehlte, Reglementierung und bürokratische Zentralisation von Kultur, Wissenschaft und Bildung, die kritische Geister außer Landes trieb, politische Entmündigung der Bürger unserer Republik und Kriminalisierung Andersdenkender, Verwandlung der Medienlandschaft in eine trostlose Informationswüste und eine widerliche Hofberichterstattung, Ausgrenzung der Parteibasis aus allen innerparteilichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen.Im Umfeld dieses Machtmißbrauchs breitete sich der Morast der Korruption und der persönlichen Bereicherung aus. Unerträgliche Herrscherallüren einer Führungsgruppe und mancher Nacheiferer auch auf unterer Ebene haben unsere Partei in Verruf gebracht. Zwischen Führung und Volk, zwischen Parteispitze und Parteibasis tat sich eine tiefe Kluft auf. Aus einzelnen und aus Gruppen, die auf Veränderungen drängten, wuchs eine umfassende Volksbewegung. Sie forderte ihre Rechte auf der Straße ein, als das Land an einer Massenflucht zu Grunde zu gehen drohte.Die Bewegung zur Erneuerung des Sozialismus ist ihrem Wesen nach eine revolutionäre Bewegung. Die Politbürokraten verunglimpften den Aufbruch des Volkes als Konterrevolution und wollten ihn mit Gewalt unterdrücken. In Wirklichkeit waren sie in dieser Situation die Konterrevolutionäre. (Beifall)Viele Persönlichkeiten - Künstler, Arbeiter, Schriftsteller und Wissenschaftler und unter ihnen auch viele Mitglieder und Funktionäre unserer Partei - hatten schon warnend die Stimme erhoben.Unsere Partei war mit so manchen ihrer Mitglieder an der Volksbewegung beteiligt. Als Organisation hat sie die Umgestaltung nicht einzuleiten vermocht, ja sie hat zunächst auch nicht den Charakter des Erneuerungsprozesses verstanden. Deshalb ist die Partei in der Zeit zwischen den Oktobertagen und unserem außerordentlichen Parteitag in eine Situation geraten, in der sie um ihre Existenz kämpfen muß. Hierfür trägt bereits die auf den Abgang Erich Honeckers folgende Parteiführung die Verantwortung. (Beifall)Wir mußten immer weiter zurückweichen, weil die Führung um Egon Krenz kein Konzept besaß und nicht zu einem radikalen Bruch mit der Verg

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