Die Ereignisse des Herbstes 1989 verdienen eine eigene neue ErzählungVon Sören BennWie reflektiert DIE LINKE die Ereignisse des Herbstes 1989 – was würdigt und kritisiert sie, worauf nimmt sie Bezug? Antworten darauf sucht man vergebens.

Die Partei fokussiert sich auf die Zeit danach: Auf Treuhand, Arbeitslosigkeit und ihr Image als Interessenvertretung Ostdeutschlands. Zweifelsohne wichtige Themen, aber das reicht nicht. Die LINKE bleibt auch Erbin der Schuld der SED, mitverantwortlich für das Scheitern einer gesellschaftlichen Praxis, die den Begriff »Sozialismus« für sich reklamierte. Dem hat sie sich in der Vergangenheit auch wiederholt gestellt. Dazu gehört auch, allen mit Respekt zu begegnen, die in der DDR auf Widersprüche zwischen Anspruch und Realität hinwiesen und dafür oft einen hohen Preis zahlten. Dazu kommt: Ein Teil des Widerstandes kam von links, teils aus der SED selbst. Viele Forderungen, mit denen die SED konfrontiert wurde, zielten darauf ab, den Sozialismus endlich zu realisieren, ihn ökonomisch und ökologisch überlebensfähig, partizipativ und attraktiv zu machen, soziale und bürgerliche Rechte zu verwirklichen. Schließlich: Die DDR ging nicht an ihren Kritiker*innen zugrunde, sondern auch daran, dass sie nicht auf sie gehört hat. Die Partei hatte Recht, jede Infragestellung war verdächtig. Das ließ die Gesellschaft erstarren. Damit, dass die DDR jene, die sie konstruktiv-kritisch herausgefordert hat, kaltgestellt, bespitzelt und ins Gefängnis geworfen hat, beraubte sie sich genau jenes Potentials, dass sie zu ihrer Erneuerung dringend gebraucht hätte. Die Verläufe der Revolutionen werden heute oft vom Ergebnis her bewertet, was Akteuren und Prozessen von damals nicht gerecht wird. Die Ziele und Absichten derer, die in der DDR bleiben und sie reformieren wollten, liegen im Schatten des Narratives und symbolträchtigen Bildes vom Mauerfall, der weltweit mit 1989 assoziiert wird. Wer diesen Schatten erhellt, entdeckt eine Welt von Utopien, Hoffnungen, bittersten und rührendsten Erfahrungen. Er entdeckt heterogene Gruppen von Menschen, die sich eine politische und soziale Welt erträumten, abgeleitet aus der krassen Widersprüchlichkeit des angeblich real existierenden Sozialismus. Vielen ging es um Umweltschutz, freiheitlichen Sozialismus, pazifistischen Internationalismus, um ehrliche Aufarbeitung von Nationalsozialismus, Antisemitismus und Rassismus. Was in diesen Jahrzehnten, notgedrungen oft im kirchlichen Umfeld, geäußert und künstlerisch bearbeitet wurde, wird in Tiefe und politisch-ethischer Reife sträflich unterschätzt. Der Widerstand gegen die SED-Diktatur verdient dort, wo er die DDR von links oder aus einer verantwortungsethischen und christlichen Perspektive kritisiert hat und es schlicht darum ging, sagen zu können was ist, die volle Aufmerksamkeit der Partei DIE LINKE. Es ist ein zutiefst emanzipatorisches Erbe, um das sich gegenwärtig niemand kümmert. Die LINKE ist es sich und diesen Menschen schuldig, dieses Erbe anzunehmen, ohne es sich einzuverleiben. Als Bürgermeister von Pankow kann ich dem nicht ausweichen. Hier lebten viele Menschen, die sich nicht in die geistige Kaserne sperren ließen. Auch vor meinem eigenen biographischen Hintergrund in der evangelischen Kirche der DDR will ich auf das Feiern nicht verzichten und habe die Veranstaltungsreihe »Friedliche Revolution von unten« aufgelegt, die unbekannt gebliebene Akteure würdigt. Die schon weit fortgeschrittene Instrumentalisierung der friedlichen Revolution als Gründungsmythos des vereinigten Deutschlands wird nicht dadurch aufgebrochen, dass man sie den Zeremonienmeistern der neuen nationalen Erzählung widerstandslos überlässt. Damit das Erbe der friedlichen Revolution nicht im Kitsch ersäuft oder als Trophäe auf dem Kaminsims des neuen Deutschland verstaubt, muss es angenommen und vollständig erschlossen werden. Als lebendiges und widersprüchliches Erbe, als Geschichte, die fortwirken soll. Das Erbe von 1989 gehört niemandem und allen. Niemand kann mehr den Anspruch auf eine allgemeingültige Deutung erheben. Der DDR-Sozialismus ist gescheitert – zu Recht. Seine Überwindung hat einen theoretischen und praktischen Irrweg beendet. Viele erinnern sich noch an die Leichtigkeit, an die Zuversicht jener Tage, das Erleben von Selbstwirksamkeit. Dieser Umbruch war eine Befreiung. Auch die SED wurde von sich selbst befreit. Das Land, das sie regierte, war ein Gefängnis. Der damals produzierte utopische Überschuss geistert ortlos durch die endlose Gegenwart des Turbokapitalismus. Kein Ort, nirgends, an dem dieser Überschuss aufgehoben ist. Sören Benn ist Bezirksbürgermeister von Pankow

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